«Darüber reden war unsere Therapie»
posted on 10 Mar 2021Der Krebstod eines Familienmitglieds hat die SP-Stadträtin Elisabeth Arnold dazu bewogen, einen Teil ihrer Haare zu spenden. Wieso ein «Sidecut» in den eigenen Haaren gesellschaftspolitisch relevant ist, wie sie als Familie mit dem familiären Verlust umgingen und wieso für sie die Beratungs- und Unterstützungsangebote der Krebsliga Bern so wichtig sind, davon erzählt sie im Gespräch mit mir.
Text: Eva Zwahlen
Elisabeth, du hast unlängst einen Teil deiner Haare gespendet. Anlass dafür war, dass deine Schwiegermutter an Krebs verstorben ist. Was hat dich zu dieser Haarspende bewogen?
Mich hat verschiedenes zu dieser Haarspende motiviert. Es beginnt wohl grundsätzlich beim Thema, wie und ob überhaupt man als Frau in unserer Gesellschaft wahrgenommen wird. Ich empfinde es als sehr anstrengend und auch bemühend, wie wir Frauen auch heute noch um Aufmerksamkeit für unsere Anliegen kämpfen müssen. Als ich dann vor einiger Zeit auf Instagram von einem Coiffeursalon gefragt wurde, ob ich Lust auf einen sogenannten «Sidecut» habe, wollte ich die Aufmerksamkeit, die eine solche Frisur generiert, mit der Awareness für Themen, die mir am Herzen liegen, verbinden. Dazu gehört auch Krebs. Seit ich einen etwas auffälligeren Haarschnitt habe, werde ich natürlich auch öfter darauf angesprochen, die Menschen reagieren zum Teil etwas irritiert. Dies gibt mir jedoch auch die Gelegenheit, immer wieder auf die verschiedenen Formen der Unterstützung bei einer Krebserkrankung hinzuweisen. So zum Beispiel Haarspenden.
Die Krebserkrankung von nahen Angehörigen bringt viel Leid über eine Familie. Was hat euch geholfen, diese Belastung gemeinsam zu bewältigen?
Eine solche Situation ist immer ein Notfall, eine Ausnahmesituation, ein wahnsinnig grosser Eingriff ins Leben. Kinder zwingen dich irgendwie dazu, weiterzumachen. Unsere sind ja noch so klein. Wir haben ihnen einfach erklärt, was los ist, auch dann, als meine Schwiegermutter dann schlussendlich gestorben war. Für uns ist der Tod grundsätzlich kein Tabuthema, und wir haben auch den einen oder anderen Berührungspunkt mit den Themen Sterben und Tod, wenn man so will. Wir wohnen in Bümpliz neben dem Friedhof, und der Vater des besten Freundes meiner Tochter ist Bestatter. Natürlich schmerzt es wahnsinnig, wenn jemand so gehen muss. Meinem Mann und mir hat auch geholfen, dass wir beide Kommunikationsprofis sind. Wir haben gelernt, auch in schwierigen Situationen zu reden. Dies war unsere Therapie. Mir ist bewusst, dass es viele Menschen gibt, die dies nicht können. Daher finde ich es so wichtig, dass es entsprechende Unterstützungsangebote gibt und Möglichkeiten der Hilfe, die Menschen in Anspruch nehmen können. Die Folgen für die Hinterbliebenen nach einem solchen Verlust sind grösser, als man denkt.
Eure beiden Kinder wurden in jungen Jahren mit dem Verlust eines nahestehenden Familienmitglieds konfrontiert. Wie habt ihr sie als Eltern auf diesem Weg begleitet?
Unsere Tochter ist vierjährig, der Sohn ist anderthalb. Ihre Grossmutter war ein grosser Teil ihres Lebens, sie kam oft zu Besuch und las unseren Kindern Geschichten vor. Jedoch habe ich den Eindruck, dass Kinder in diesem Alter ein anderes Zeitgefühl haben als wir Erwachsenen. Ob sie jemanden einen Tag oder ein Jahr nicht sehen, dies macht keinen so grossen Unterschied. Das hat uns dabei geholfen, unserer Tochter zu erklären, dass das Grosi nun nicht mehr da ist. Für sie begann dann einfach ein neuer Lebensabschnitt, das war in ihren Augen normal. Diese Normalität hat dann wiederum auch uns geholfen.
Die Krebsliga Bern unterstützt Betroffene und ihre Angehörigen in der Alltagsbewältigung und begleitet speziell auch Familien mit Kindern. Hast du diese Angebote gekannt und konntest sie nutzen? Denkst du, dass sie wichtig sind?
Wir kannten die Angebote leider nicht. In unserem Fall spielte dies jedoch auch keine so grosse Rolle, weil wir eine relativ stabile familiäre Situation haben, wofür ich enorm dankbar bin. Ich bin mir jedoch bewusst, dass dies ganz oft nicht der Fall ist und im Falle einer Krebserkrankung ganz vieles in die Brüche gehen kann. Oder man stelle sich vor, der eigene Partner oder das eigene Kind sind erkrankt, und es kommen finanzielle Belastungen oder existenzielle Sorgen und Nöte dazu – wie unglaublich schlimm! In solchen Fällen ist es ganz wichtig, dass es diese Unterstützungsangebote gibt und dass man als Betroffene die nötige Hilfe erhält.
Als Politikerin und als Kommunikationsfachfrau ist es mir wichtig, dass die Angebote bekannt und die Zugänge möglichst niederschwellig sind. Ich bin gerne bereit, dafür mit meinem Namen hin- und einzustehen und meinen Teil dazu beizutragen, damit die entsprechenden Informationen besser fliessen. Wichtig ist mir auch, dass die Leute, die in diesen Branchen arbeiten, über gute Arbeitsbedingungen verfügen. Gerade im Gesundheitswesen oder dem Sozialbereich sind es ja sehr oft Frauen, die diese Arbeiten erledigen, und hier sind wir dann sehr rasch bei Themen wie Gleichstellung und Chancengleichheit, die mir sehr am Herzen liegen.
Wie wichtig ist in deinen Augen das Programm «sichtbar anders»?
Das Programm kann dabei helfen, ein wenig Normalität zurückzuerhalten, es kann helfen, dass man selber entscheiden kann, wie stark «anders» man sein möchte, dass man ein Stück der Selbstbestimmung zurückbekommt. Es braucht solche Programme unbedingt!
Nicht alle Menschen haben die Möglichkeit, ihre eigenen Haare zu spenden. Wie können sie sich dennoch für Krebserkrankte engagieren?
Es gibt unendlich viele Möglichkeiten! Einfach mal zuhören, wenn jemand sich mitteilen will, man kann Organisationen, die forschen, oder solchen, die Beratungen und Unterstützung anbieten, Geld spenden, Freiwilligenarbeit, ein wenig Freude schenken, Informationen verbreiten – nicht lange überlegen, einfach machen, natürlich im Rahmen seiner Möglichkeiten.
Die 33-jährige Elisabeth Arnold sitzt seit 2020 für die SP im Stadtrat der Stadt Bern. Die zweifache Mutter hat Kommunikation an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW studiert und arbeitet als Social Media Manager bei der Bundesverwaltung.
Krebserkrankung und -therapie bringen nicht nur körperliche und psychische Belastungen mit sich, sondern können auch das Aussehen verändern. Diese unfreiwillige Veränderung bringt Menschen oft in innere Not, ist doch Zufriedenheit mit dem eigenen Aussehen sehr wichtig für das Wohlbefinden und für die Begegnung mit anderen Menschen. Die Krebsliga Bern offeriert Krebsbetroffenen seit 2003 über das Angebot «sichtbar anders» eine kostenlose einmalige Beratung und Ideen für Kopfbedeckungen. Für weitere Informationen.
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